Norbert Marcher im Gespräch über Preisbildung im Fleischsektor, Aktionspolitik im Lebensmittelhandel und die möglichen Hintergründe des Imageproblems des Lebensmittels Fleisch.
BauernZeitung: Herr Marcher, wer in Österreich in der Veredelung tätig ist, kommt an Ihrem Namen – besonders im Schweinebereich – nicht vorbei. Würden Sie uns die Kennzahlen Ihres Unternehmens kurz umreißen?
Norbert Marcher: Unser Bestreben ist es nicht, dass man nicht „an uns vorbeikommt“, sondern wir bemühen uns, dass alle unsere Partner aus der Landwirtschaft und unsere Kunden gerne mit uns zusammenarbeiten. Aktuell betreiben wir in Österreich 9 Standorte für Schlachtung, Zerlegung sowie zur Herstellung von Fleisch- und Wurstwaren, Convenience- und Ersatzprodukten. Mit gut 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erzielten wir im letzten abgeschlossenen Wirtschaftsjahr etwas über 560 Mio. Euro konsolidierten Umsatz. Im laufenden Wirtschaftsjahr wird sich diese Zahl vor allem inflationsbedingt um knapp 20 % erhöhen. Dabei verarbeiten wir das Fleisch von circa einer Mio. Schweinen und etwa 130.000 Rindern, mehr als die Hälfte davon für den Export. Import spielt eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.
Wie ist es den Marcher Fleischwerken gelungen, sich an die Spitze der heimischen Fleischwirtschaft hochzukämpfen?
Erfreulicherweise waren wir tatsächlich erfolgreich, vielleicht aber gerade auch deshalb, weil wir unsere tägliche Arbeit nicht als „Kampf“ wahrnehmen, sondern mit Freude an der Verbesserung von Abläufen und dem Erschließen neuer Märkte zugange sind. Zugute kommt uns, dass wir als Familienbetrieb gemeinsam mit unseren hochmotivierten, tüchtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern doch über viele Jahrzehnte Gelegenheit hatten, Vertrauen bei unseren Geschäftspartnern aufzubauen. Dies ist gerade in der arbeitsteiligen Produktionskette der Fleischverarbeitung von großer Bedeutung.
2022 war für alle Beteiligten kein einfaches Jahr. Teuerung und drohende Versorgungsengpässe vor allem in Sachen Energie waren allgegenwärtig. Der eine oder andere Traditionsbetrieb musste auch in Ihrer Branche das Handtuch werfen. Wie ist es Ihnen ergangen?
Natürlich waren wir wie die meisten produzierenden Betriebe vor die von Ihnen genannten Herausforderungen gestellt – allen voran die unklare Versorgungslage im Energiesektor sowie in diesem Ausmaß bis dahin unbekannte Preissteigerungen. Aber als Fleischunternehmen sind wir durchaus krisenerprobt und verfügen über ein vorausschauendes und effizientes Krisenmanagement. Dem ist es wohl zu verdanken, dass wir, wie auch schon während der Pandemie, jederzeit lieferfähig geblieben sind.
Wurden die Preissteigerungen unmittelbar an Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und Großhandel weitergegeben?
Letztlich ist es gelungen, die Rekordpreise bei Rindern und Schweinen im Wesentlichen auch umzusetzen, sowohl im Export als auch am Heimmarkt. Während die Preisbildung mit den Landwirten wöchentlich erfolgt, sind absatzseitig vor allem bei veredelten Sortimenten längere Preisbindungsperioden üblich. Auch im Export arbeiten wir mit längerfristigen Kontrakten. Das ist für uns naturgemäß in Zeiten laufender Preissteigerungen nicht gerade vorteilhaft.
Im Vorjahr hat der Aktionsanteil bei Fleisch im LEH dennoch die sagenhafte 40-%-Marke geknackt. Daran würde sich so schnell auch nichts ändern, wird seitens der Handelsketten immer beteuert. Bei Bauern sorgt das „Verramschen“ hochwertiger Produkte für Unmut. Können Sie uns aus Verkäufersicht schildern wie diese Aktionspolitik funktioniert? Verzichten auch Schlacht- und Verarbeitungsbetriebe hier bewusst auf Margen?
Ich kann nachvollziehen, dass viele Landwirte bei scharfen Preisaktionen des Handels den Wert ihrer Leistungen geschmälert sehen. Das ist eine emotional verständliche Reaktion und müsste unter ethischen Gesichtspunkten diskutiert werden. Hinsichtlich der Marktwirkung ist es im Gegenteil so, dass Fleischaktionen des LEH den Absatz beleben und vielfach in Zeiten stockender Nachfrage einen willkommenen Beitrag zur Marktentlastung liefern. Der diesbezügliche Margenverzicht geht in aller Regel ausschließlich zu Lasten des LEH.
Befürworten Sie diesen Aktionsanteil?
Ich gehe davon aus, dass der LEH die Aktionspolitik zurücknehmen würde, wenn diese keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr finden würde. Tatsächlich funktionieren die Aktionen so, dass oft ein Vielfaches der üblichen Menge abgesetzt wird. Auch gilt es zu beachten, dass bezogen auf die Produktionsmenge von Schweinefleisch in Österreich der Anteil, der als Frischfleisch im LEH verkauft wird, weniger als 10% beträgt. Die oft vorhandene Sorge, dass billige Verkaufspreise des LEH den Bauernpreis drücken, ist unbegründet.
Eine weitere Dynamik im österreichischen Fleischgeschäft ist der steigende Selbstversorgungsgrad mit Fleisch, der allerdings nicht einer Produktionszunahme, sondern dem sinkenden Verzehr geschuldet ist. Ein deutscher Wursthersteller hat Wurst vor knapp zehn Jahren als „die Zigarette von morgen“ bezeichnet. Hat die Branche ein Imageproblem?
Ja, Fleisch hat – und hier allen voran Schweinefleisch – bei immer größer werdenden Teilen der Gesellschaft, ein Imageproblem. Vor allem die jüngere, urbane Zielgruppe hat den natürlichen Zugang zur Landwirtschaft verloren. In Kombination mit immer wiederkehrenden Bildern über Missstände in der Nutztierhaltung (die in aller Regel grobe Gesetzesverstöße darstellen) wird die Diskussion darüber, inwieweit unsere Nutztierhaltung noch zeitgemäß ist, befeuert. Jeder in der Branche ist dazu aufgerufen, einen Beitrag zur Verbesserung der Situation zu leisten, vom Bauernhof über Fleischverarbeitung bis hin zum LEH. Begrüßenswert ist hier auch die Offensive der AMA Marketing, die sich zum Ziel gesetzt hat, ein transparentes Bild der landwirtschaftlichen Herstellungsmethoden zu zeigen.
Mit sinkendem Fleischverzehr erfreuen sich zugleich Fleischersatzprodukte immer größerer Beliebtheit. Sehen Sie hier auch Potenzial für die heimischen Schlacht- und Zerlegebetriebe und speziell in Ihrem Unternehmen?
Wir produzieren selbst seit Jahren Fleischersatzprodukte und beobachten hier kontinuierliche Steigerungsraten. Die gesamte Marktbedeutung jedoch liegt nach wie vor unter 2 % gemessen am Original und steht damit im krassen Widerspruch zur Häufigkeit der Nennung in den Medien.
Last but not least: 50 % der heimischen Schweine werden nach gesetzlichem Mindeststandard gehalten, 45 % entsprechend den Anforderungen des AMA-Gütesiegels. Dieses Gros der heimischen Schweinebauern steht in den kommenden Jahren – durch die neuen tierschutzrechtlichen Standards – vor enormen Investitionskosten. Die Produktion wird mit sinkendem Spaltenanteil, mehr Platz usw. definitiv teurer werden. Besteht die Gefahr, dass das AT-Schwein gegenüber ausländischer Ware nicht mehr wettbewerbsfähig ist?
Die diesbezüglichen Ansprüche an die Schweinehaltung in Österreich, gelten de facto in ähnlicher oder gleicher Form in den wesentlichen Mitbewerberländern wie Deutschland, Dänemark und Holland. Auch die dortige Produktion muss die höheren Kosten einpreisen, so dass unter diesem Aspekt kein Wettbewerbsnachteil für österreichische Tierhalter zu erwarten ist. Wünschenswert wäre es, wenn sich der Investitionsstau nun durch mehr Klarheit nach Verabschiedung der Tierschutzreform auflösen würde – in diesem Zusammenhang ist zu hoffen, dass die Förderrichtlinien so gestaltet werden, dass Vollerwerbsbetriebe in vernünftiger Größe entstehen und nicht durch Deckelung klein gehalten werden.
Abschließend: Wenn Sie in die Branchen-Glaskugel schauen, wie sind die Marcher Fleischwerke 2030 aufgestellt?
Wir haben keine Glaskugel, aber wir glauben fest daran, dass Fleisch eine Zukunft hat. Diese Zuversicht zeigt sich auch in den besonders kräftigen Investitionen, die wir aktuell in den Ausbau und in die Modernisierung unser größten Werke tätigen.
Quelle: Bauernzeitung.at